Die historische Entwicklung der “Stadt des Rechts”

  • 21. März 2012
  • Karlsruhe um 1721

    Die Geschichte von Karlsruhe beginnt am 17. Juni 1715 mit der Grundsteinlegung zum neuen Residenzschloss des Markgrafen Karl Wilhelm von Baden-Durlach. Der absolutistische Fürst lässt Karlsruhe nach dem Vorbild Versailles erbauen. Das Stadtgebiet wird zunächst von den neun nach Süden gerichteten Alleen gebildet. Wie auf dem Kupferstich von Heinrich Schwarz aus dem Jahre 1721 gut zu erkennen existierte, ein fließender Übergang zur Natur. Die übrigen Alleen führten zu den umliegenden Dörfern der Hardt und erschlossen das damalige Jagdgebiet.

    Die Stadt Karlsruhe gilt durch ihre Höhenabstufung vom Schloss zu den Wohnhäusern als Musterbeispiel absolutistischer Stadtgründungen. Das neue Residenzschloss wurde nur wenige Kilometer von der alten Residenz in Durlach errichtet. Nach der Zerstörung von Schloss und Stadt Durlach während des pfälzischen Erbfolgekriegs 1689, leitete der damalige Markgraf Friedrich Magnus den Wiederaufbau ein. Die wirtschaftliche Not und der spanische Erbfolgekrieg ließen der Wiederaufbau nur langsam voran schreiten. Seinem Nachfolger Markgraf Karl Wilhelm schwebte ein Schloss nach dem Vorbild von Versailles, dem Schloss des Sonnenkönigs Ludwig XIV. vor, und verwarf den Wiederaufbau von Schloss Durlach.

    Früher Liberalisierung von Bürgerrechten

    Die Stadt erreichte durch großzügige Aufnahmebedingungen, wie Freiheit zur Ausübung tolerierter Religionen, Freiheit von Leibeigenschaft und Frondiensten, einen Bauplatz inklusive Baumaterial, Steuerfreiheiten und eine bürgerliche Gerichtsbarkeit mit Anhörungs- und Vorschlagsrecht für alle Bürger, bereits 1719 knapp 2000 Einwohner. Dieser Privilegienbrief erreichte eine große Popularität und zog viele Menschen aus über 100 Kilometer Entfernung und Ländern wie Frankreich, Schweiz, Polen und Italien an. In den Folgejahren bis 1750 wuchs die Stadt nur langsam auf 2500 Einwohner an. Der dem Fortschritt zugewandte Markgraf Karl Friedrich, Enkel des Stadtgründers, übernahm 1746 die Regentschaft und übte diese bis 1811 aus. Als herausragender Vertreter des aufgeklärten Absolutismus setzte er sich für die Förderung des Unterrichtswesens, der bürgerlichen Rechtspflege, Abschaffung der Folter (1767) und der Leibeigenschaft (1783) und für die Emanzipation der Juden (Judenedikte von 1806) ein. Zusätzlich wurde die landschaftliche Leistungsfähigkeit durch den Ausbau von Landstraßen, Errichtung von Kanälen und Musterbetrieben verbessert. Zusammen mit der Markgräfin Karoline Luise erschuf er mit der Karlsruhe Residenz einen „Musenhof“, zu dessen Gästen damalige Größen wie Voltaire, Goethe, Klopstock, Wieland und Lavater zählten.

    Während dieser Zeit konnte die Entwicklung der Stadt durch Gebietserweiterungen profitieren. Durch den Tod des Markgrafen August Georg von Baden-Baden wurden 1771 die beiden badischen markgräfischen Lande wieder vereint. Die Markgrafschaft stieg bis 1806 zum Großherzogtum auf, wobei es als Verbündeter Napoleon sein Territorium vervierfachen konnte. Die Bevölkerungsanzahl stieg dabei auf über 15000 Menschen. Durch zeitiges Wechseln zur gegnerischen Fraktion wurden diese Gewinne auf dem Wiener Kongress 1815 bestätigt.

    Die Pyramide am Marktplatz

    Während der Regentschaft von Karl Friedrich ernannte dieser Friedrich Weinbrenner zu seinem Baumeister. Weinbrenner prägte das heutige Bild der Stadt. Er schuf die markante Mittelachse vom Schloss zum Marktplatz und auf dem Marktplatz, über der Gruft des Stadtgründers, das Stadtwahrzeichen – die Pyramide. Seine baumeisterliche Leistung gilt heute noch als „Lehrstück urbaner Raumgestaltung“.

    Fortschrittlichste Verfassung ihrer Zeit

    Anfang des 19. Jahrhunderts stieg Karlsruhe zur Landesmetropole auf. 1818 wurde die fortschrittlichste und freiheitlichste Verfassung ihrer Zeit von Karl Friedrich Nebenius erlassen und 1822 konnte das Parlament das Ständehaus beziehen, der erste eigenständige Parlamentsbau Deutschlands. Diese Verfassung war auch der Grund dafür, dass Baden zu dem Land wurde, in dem sich liberales und demokratisches Gedankengut am schnellsten verbreitete. Im Vormärz wurde das Parlament zur treibenden Kraft für ganz Deutschland – zur „Wiege der Demokratie“. Es wurden Forderungen nach mehr politischer Mitsprache, Pressefreiheit, Gewaltenteilung und Aufhebung von Frohnden leidenschaftlich diskutiert. Hier traten zum ersten Mal Fragen nach der deutschen Einheit, zur sozialen Frage und zur Emanzipation der Juden auf. Die Revolution von 1848/1849 brach kaum irgendwo in Deutschland so heftig aus, wie in Baden. 1849 bestand in Karlsruhe die erste, kurzfristige Republik Deutschland, welche von preußischen Truppen niedergeschlagen wurde. 1852 begann mit dem Großherzog Friedrich I. die liberale Ära. In den 1860er Jahren gewann das Ständehaus noch einmal nationale Aufmerksamkeit.

    Das neue Ständehaus (1)

    Das erlassene Gerichtsverfassungsgesetz gilt als Meilenstein in der deutschen Rechtsgeschichte, weil es den Bürgern ermöglichte, Rechtsverstöße des Staates einzuklagen. Mit dieser Verfassung war der Grundstein für das heutige Bundesverfassungsgericht gelegt.

    Technische Hochschule und Industrialisierung

    Durch den Aufbruch in das industrielle Zeitalter waren gut ausgebildete Fachleute gefragt. 1825 entstand nach dem Pariser Vorbild die erste Technische Hochschule auf deutschem Boden. Herausragende Gelehrte, wie Tulla, Redtenbacher, Grashof, Weltzien, Engler, Bunte, Hertz, Haber und Lehmann machten die Hochschule zur Geburtsstätte vieler bis heute wichtiger Innovationen. Hochkarätige Absolventen wie Robert Gerwig und Carl Benz bestätigten den Ruf als exzellente Ausbildungsstätte. Weitere Einrichtungen, wie Kunstakademie (1854), Pädagogische Hochschule (1875), Baugewerkeschule (1878, heute Hochschule für Technik) und das Konservatorium (1884, heute Musikhochschule) entstanden in den Folgejahren. Weitere nationale Maßstäbe setzte Karlsruhe mit der Schaffung des dualen Systems der technisch-gewerblichen Berufsbildung (1834) und dem Mädchengymnasium (1893).

    Der Aufschwung zu Beginn des 19. Jahrhunderts trat in Karlsruhe nur schleppend in Erscheinung. Erst mit der einsetzenden Industrialisierung kam der Impuls. Vor 1850 entstanden aber nur wenige Großbetriebe, z.B. die Maschinenfabrik Martiensen & Keßler, die 1842 die erste badische Lokomotive fertigstellte. Durch die Ansiedlung von Industrien in den 60er Jahren des 19. Jahrhunderts änderte sich allmählich das Stadtbild. Durch die Reichsgründung 1871 begann das Zeitalter der Hochindustrialisierung. Die Bevölkerung stieg explosionsartig auf 100.000 Einwohner an und Karlsruhe wurde Großstadt. Der industrielle Schwerpunkt von Karlsruhe lag in der Metallverarbeitung und dem Maschinenbau. Nach dem 1. Weltkrieg wurde die Entwicklung abrupt unterbrochen. Dabei spielte die Abdankung des Großherzogs 1918 keine wesentliche Rolle, da Karlsruhe nicht mehr vom Hof abhängig war. Die zentralen Einrichtungen und Institutionen verblieben in Karlsruhe und wurden vom Freistaat Baden geführt. Jedoch fiel Karlsruhe durch den Versailler Vertrag in die entmilitarisierte Zone. Der Wegfall von Elsass-Lothringen an Frankreich sorgte für den Wegfall eines wichtigen Absatzmarktes. Ebenfalls wurde durch die Umstellung von Rüstungs- auf Friedensproduktion der Industriestandort weiter geschwächt. Dennoch wuchs die Stadt bis 1933 kontinuierlich weiter auf 155.000 Einwohner. Ein Grund hierfür war unter anderem die Eingemeindung von umliegenden Dörfern, wie Mühlburg (1886) und zuletzt Bulach (1929).

    Wandel zur Verwaltungs- und Hochschulstadt

    Politisch war die nationalliberale Landeshauptstadt von der Weimarer Koalition aus SPD, Deutscher Demokratischer Partei und Zentrum bestimmt. Mit der Weltwirtschaftskrise stieg die Zahl der NSDAP-Wähler stark an, die schon 1930 die stärkste politische Kraft in Karlsruhe darstellte. Obwohl die NSDAP nie die 50% Hürde überschritt, konnte sie relativ schnell nach der Ernennung von Adolf Hitler zum Reichskanzler ihre politischen Gegner ausschalten und die Verwaltung mit dem neuen Führerstaat gleichschalten. Aus Badens Landeshauptstadt wurde die Gauhauptstadt Karlsruhe, in der regionale und nationale Propagandaveranstaltungen zum Alltag gehörten. Wie für die meisten deutschen Städte hatte die nationalsozialistische Machtübernahme auch in Karlsruhe verheerende Folgen. Die jüdische Bevölkerung wurde fast vollständig aus der Stadt vertrieben oder seit 1940 in die Konzentrationslager deportiert. Während des 2. Weltkriegs wurde Karlsruhe fast vollständig zerstört und verlor nach dem Krieg seine Funktion als Landeshauptstadt. Durch die Besatzungszonen geriet Karlsruhe in einen wirtschaftlichen „toten Winkel“ Deutschlands. Die Erhaltung der Zentralität Karlsruhes im Bezug auf Verwaltungsinstitutionen bewirkte, dass die Stadt nicht vollständig in die Bedeutungslosigkeit rückte.

    Das Bundesverfassungsgericht (2)

    Die Anwesenheit von Bundesgerichtshof und Bundesverfassungsgericht (BVerfG) formten Karlsruhe zur „Stadt des Rechts“. Somit beherbergt Karlsruhe die obersten Hüter des Rechts und der Demokratie in Deutschland. Das BVerfG ist von den anderen Staatsorganen unabhängig und diesen gleichgestellt. Errichtet wurde es 1951 durch ein Gesetz, wodurch das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland eine geregelte Infrastruktur erhielt. Das BVerfG ist in zwei Senate unterteilt, welche jeweils über acht Richter verfügen. Die Richter in den Senaten werden zur Hälfte vom Bundestag und vom Bundesrat auf eine Amtszeit von zwölf Jahren gewählt, wobei eine Wiederwahl ausgeschlossen ist.
    Nach der raschen Trümmerräumung folgte nach der Währungsreform ein lang anhaltender Bauboom. In der Innenstadt konnte die historische Infrastruktur von Weinbrenner, sowie die Fächerstruktur erhalten werden. Heute liegt die ehemalige Residenzstadt Karlsruhe in einem Kranz von eingemeindeten Dörfern, die meist viel älter als Karlsruhe sind.
    Das Forschungspotential in Karlsruhe wurde durch den Ausbau der Technische Hochschule und dem Kernforschungszentrum weiter gefördert. 2010 schlossen sich beide Zentren zum Karlsruher Institut für Technologie (KIT) zusammen.

     

    Quellennachweise:
    Text: Dr. Ernst Otto Bräunche, Dr. Manfred Koch – Karlsruher Stadtgeschichte (www.karlsruhe.de)
    (1) Bild “Das neue Ständehaus”: Martin Dürrschnabel
    (2) Bild “Das Bundesverfassungsgericht”: Tobias Helfrich